»Eine große Prüfung«

Die bereits seit weit über einem Jahr andauernde Verletzungsmisere bei der SG Flensburg-Handewitt hält unvermindert an. Dazu gesellt sich aktuell eine unter Cheftrainer Maik Machulla noch nie dagewesene Ergebniskrise. Viele Gründe sind bekannt, ändern aber nichts an den mageren Resultaten. Der Coach bangt um Jim Gottfridsson und baut auf Zusammenhalt und Ruhe.

Was nicht passieren durfte, st geschehen: Jim Gottfridsson, Dreh- und Angelpunkt im SG-Spiel, hat sich in Erlangen verletzt.
Was nicht passieren durfte, st geschehen: Jim Gottfridsson, Dreh- und Angelpunkt im SG-Spiel, hat sich in Erlangen verletzt. Foto: ISPFD, Werner F. Schönberger
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torsdag d. 7. oktober 2021 kl. 13.05

Flensburg. Nach überzeugenden Auftritten gegen Paris und Lübbecke wähnte sich die SG Flensburg-Handewitt auf dem richtigen Weg. Franz Semper war zurück im Kader, der holprige Saisonstart schien überwunden und im Pokalspiel beim HC Erlangen sollte die Trendwende endgültig vollzogen werden. Doch das Gegenteil trat ein, es kam alles noch schlimmer. Mit 26:29 (12:16) schied die Mannschaft von Maik Machulla trotz aller erklärbaren Begleitumstände überraschend bei den Süddeutschen aus. Zum ersten Mal seit der Saison 2005/06 verpasste die SG das Achtelfinale. Unter Machulla als Cheftrainer kam sie im DHB-Pokal ohnehin noch nie weiter und im achten Pflichtspiel in dieser Saison gab es bereits zum sechsten Mal keinen Sieg. Eine solche Ergebniskrise hat die Mannschaft mit ihrem Erfolgscoach noch nie erlebt. Und als ob all das nicht genug wäre, geschah das, was nicht passieren darf: Jim Gottfridsson zog sich in Erlangen eine Verletzung am Sprunggelenk zu. Wie schlimm es um den Schweden steht, war am Abend nach der Partie nicht bekannt.

»Es sah nicht so gut aus, er kann nicht auftreten und das behindert und stresst ihn«, so Machulla, der um seinen »Dreh- und Angelpunkt, den Kopf der Mannschaft« bangt. »Wenn er ausfällt, wird die Belastung auf Aaron Mensing und Mads Mensah Larsen sehr hoch, da müssen wir kreativ sein, aber Kreativität hat Grenzen. Zumal wir auf Franz Semper (drittes Spiel nach seiner Rückkehr vom Kreuzbandriss/Red.) weiterhin aufpassen müssen. Es ist eine schwierige Situation für uns als Verein und ich hoffe, dass Jim nicht zu lange fehlt.«

Seit über einem Jahr ist Flensburg extrem vom Verletzungspech verfolgt. Nahezu jeden Spieler hatte es bisher erwischt, bis auf einen: Jim Gottfridsson. Abgesehen von einer Halbzeit in Magdeburg, als er die Rote Karte sah, war der Schwede immer auf dem Feld und führte sein Team durch die schwierige, aber sportlich erfolgreiche letzte Saison. Was passiert, wenn er fehlt, zeigte sich in Erlangen. Die SG führte noch 10:9 (19.), als Gottfridsson wegrutschte. Er musste raus, kam zwar noch einmal für einige Momente zurück, aber blieb die gesamte zweite Hälfte auf der Bank. In der Schlussphase der ersten Hälfte kassierte Benjamin Buric eine Zeitstrafe für einen umstrittenen Wechselfehler und in diesen Minuten glitt der SG die Partie aus der Hand. Aus einem 12:12 wurde eine 12:16-Rückstand bis zur Pause und wie sich am Ende zeigte, eine zu große Hypothek.

Machulla wollte Gottfridssons Verletzung nicht als »Knackpunkt« ausmachen, sah aber in der Phase kurz vor dem Seitenwechsel den »Genickbruch« für sein Team. »Es nur auf die Verletzung von Jim zu schieben, wäre mir zu einfach. Wir müssen uns alle in allen Bereichen verbessern und jeder Einzelne muss einen Schritt nach vorne machen sowie mehr Verantwortung übernehmen. Wir dürfen uns ein Spiel in so kurzer Zeit nicht aus den Händen nehmen lassen, müssen mehr investieren, um besser in die Pause zu kommen.«

Der Coach gab zu bedenken, dass ein Auswärtsspiel in Erlangen auch in Bestbesetzung »schwer« sei. Der HC habe sich »gut entwickelt«, so Machulla, der aber auch sagte: »Wir sind weiterhin hart getroffen. Mit Franz ist es ein anderes Spiel, er hilft uns, doch taktisch ist es alles nicht so einfach. Letzte Saison hatten wir Magnus Rød und haben es auch hinbekommen, mit einem kleinen Kader sehr erfolgreich zu sein. Derzeit fehlt uns in allen Bereichen etwas. Wir müssen uns jetzt straffen und gucken, dass wir alle und jeder Einzelne bereit ist, mehr zu investieren. Das war in der ersten Halbzeit nicht genug.«

Der Übungsleiter wollte seinen Schützlingen »keinen Vorwurf machen« und sagte: »Es ist keiner im Team, der nicht will. Aber wir sind jetzt in einer schwierigen Phase und es wird nicht einfacher, wenn immer wieder ein Schlüsselspieler ausfällt. Wir spielen niemals in der gleichen Konstellation, es gibt keine festen Abläufe und Automatismen, weil sich ständig etwas ändert. So etwas bringt eine Mannschaft schnell in Unruhe. Und wenn man ohnehin nicht vor Selbstvertrauen strotzt, minimiert man das Risiko, und das hemmt einen, seine Leistung zu bringen. Da müssen wir ganz ganz schnell raus und uns viel mehr unterstützen.«

Mit dem frühen Pokalaus hat die SG laut Machulla bereits ein »großes Ziel« verpasst. Der erste Titel der immer noch jungen Saison ist bereits futsch. Darüber sind alle »maximal enttäuscht«, so der Coach, der nach dem Spiel verriet, dass die Spieler in der Kabine zusammen saßen, um nach Lösungen zu suchen. Die müssen schnell her, damit Flensburg nicht auch in der Liga und der Champions League weiter an Boden verliert.  

»Der Spielplan lässt wenig Zeit zum Nachdenken und ist unbarmherzig«, so Machulla. Am Sonntag geht es bereits zum starken Aufsteiger nach Hamburg und anschließend auch auswärts zum Titelanwärter SC Magdeburg. Eingerahmt ist die Partie von zwei Königsklassen-Auftritten bei den beiden internationalen Schwergewichten Kielce und Veszprém.

»Wir werden dieses Jahr wirklich gefordert, es ist eine große Prüfung für uns als Verein und Mannschaft. Wir wären gerne besser gestartet, mit mehr Rückenwind und Selbstvertrauen, doch jetzt haben wir eine Phase, die wir so nicht kennen, und da müssen wir auch durch«, so Machulla, der angesichts der mageren Resultate auf mögliche Unruhe im Umfeld angesprochen meinte: »Was das Umfeld sagt, weiß ich nicht, innerhalb des Vereins sind wir sehr stabil und können die Situation richtig einschätzen, dass wir nicht mit der Truppe unterwegs sind, die wir uns gewünscht haben. Wir zahlen momentan den Preis für die harte letzte Saison mit vielen Verletzungen plus Olympia. Wir baden es gerade aus, dürfen es aber niemals als Entschuldigung nehmen, weil wir sonst das verlieren, wofür wir stehen: in jedem Spiel alles zu geben, egal wer auf der Platte steht. Letzte Saison wurden wir gelobt und gefeiert, dass wir es hinbekommen haben, und deshalb hoffe ich, dass es alle im Umfeld richtig einschätzen können. Natürlich sind die Fans enttäuscht und das kann ich verstehen. Genau wie wir wollten auch sie gerne nach Hamburg. Jeder meiner Spieler ist aber genauso enttäuscht und fragt sich, wie wir es hinbekommen können. Es muss Ruhe geben, wenn wir das nicht hinbekommen, wird es schwierig.«