»Ich habe viel Tragik erlebt -deshalb wirft mich nichts aus der Kurve«

Kai Nielsen hat sich als Trainer verändert. »Der Kai von 2002 und von 2021 sind zwei unterschiedliche Menschen«, sagt der 54-Jährige. Das hat auch mit seinem Beruf zu tun.

Kai Nielsen hält sich unter anderem mit Joggen in Form.
Kai Nielsen hält sich unter anderem mit Joggen in Form. Foto: Kira Kutscher
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torsdag d. 16. september 2021 kl. 16.51

Meggerdorf. Seit 21 Jahren ist Kai Nielsen mit Unterbrechungen Handball-Trainer. »Der Kai von 2002 und der von 2021 sind aber zwei völlig unterschiedliche Menschen«, sagt der Trainer des DHK Flensborg in seinem Garten in Meggerdorf.

»Mit 30 ist man nach Hause gegangen und hat geglaubt alles ist richtig. Ich bin eher nachdenklich geworden und versuche, mich zu reflektieren. Ich versuche auch, die Mannschaft in Problemlösungen einzubeziehen und sehe mich eher als Motivator«, erklärt der 54-Jährige, der früher als Trainer viel mehr vorgegeben und kritisiert habe. »Heute kritisiere ich wenig. Ich kann mich auch mehr freuen als vor 20 Jahren - ich kann mich unheimlich mitfreuen. Ich mag auch gerne nach dem Training oder Spiel mit den Spielern ein Bier trinken und über Gott und die Welt reden«, sagt Nielsen. Das gehe, ohne dass Autorität oder Leistungsgedanke leiden.

»Mir ist wichtig, das die Spieler eine glückliche Familie haben und freudestrahlend nach Hause kommen. Und ich weiß unterschiedliche Charaktere zu schätzen, mag es nicht so schablonenhaft. Spieler müssen auch nicht so denken wie ich«, betont Kai Nielsen, der sehr auf individuelle Bedürfnisse achtet. 

Der ehemalige Zweitliga-Handballer der HSG Tarp-Wanderup ist in Leck aufgewachsen. Der MTV war damals eine große Hausnummer im Handball. Der junge Kai spielte außerdem Fußball, er ritt und schwamm. 

Von 1984 bis 1987 absolvierte Nielsen seine Polizei-Hauptwachmeister-Ausbildung in Eutin. Von 1989 bis 1999 war er in Schleswig-Holstein beim Spezialeinsatzkommando (SEK) und verantwortlich für das Abseilen aus hohen Gebäuden, Hubschraubern oder Höhenrettung. »Ich habe in jungen Jahren viel Verantwortung gehabt«, sagt er.

Zugleich spielte er in Tarp Zweitliga-Handball. »Ich hatte einen tollen Chef und zu den Spielen frei. Ich habe mich dafür anderweitig eingebracht. Das war mir immer wichtig. Man muss auch einzahlen in den Topf. Nur nehmen geht nicht«, sagt Kai Nielsen. In dieser Zeit, 1993, lernte er seine Anne kennen, die er 2001 heiratete. 2000 wurde Tochter Hanna geboren, Sohnemann Johannes ist 18. Beide wohnen bei den Eltern.

Beruflich hat sich Kai Nielsen in dieser Zeit verändert. Seit 2001 ist er Kriminalbeamter im gehobenen Dienst. Mit Aufgabenschwerpunkt wie Todesermittlungen und Sexualdelikte. Zunächst war er Kriminalhauptkommissar in Heide (bis 2010) und Schleswig, seit 2015 in Kiel.


Kai Nielsen sieht sich als Motivator.  -
Foto: Tim Riediger

Dramen und Tragik

In seinem Beruf sieht und erlebt er Dramen und Tragik. Etwa bei Tötungsdelikten und schweren Unglücken. Nielsen erzählt von einem tödlichen Brand in einem Wohnwagen auf einem Campingplatz vor einigen Jahren, bei dem ein Ehepaar sowohl ihr Kind als auch eine Freundin verlor. 

Auch ein Tauchunfall an der Schleuse in Meldorf, als ein Arbeitstaucher und ein Feuerwehr-Taucher starben, prägen ihn.

»Das lässt einen ein Leben lang nicht los«, sagt Kai Nielsen: »Ich habe auch mit Menschen geweint. Aber ich kann damit umgehen, ich bin panik-sicher. Ich sehe es als meine Stärke, mit Katastrophen umgehen zu können«, sagt Kai Nielsen. »Ich habe viel Elend, viel Tragik gesehen und in Vernehmungen menschliche Abgründe erlebt. Das ist Bestandteil meiner Persönlichkeit. Deshalb wirft mich heute nichts aus der Kurve«, sagt Kai Nielsen. »Kreuzbewegungen in der Halle, wenn du vorher einen tödlichen Tauchunfall hattest. Das sind wahnsinnige Sprünge. Aber man lernt, damit umzugehen.«

Der Sport ist stets sein Begleiter. Nach seiner Spielerkarriere wurde Nielsen schneller Trainer als gedacht. Eigentlich wollte er nach dem Weggang aus Tarp 2001 seine Karriere bei seinem Stammverein HSG Kropp-Tetenhusen ausklingen lassen, kurz vor Saisonstart sprang der Trainer ab. Nielsen sprang ein - und stieg in die Regionalliga auf. Er blieb bis 2008. Das Ende war zugleich sein persönlicher Tiefpunkt. »Es gab Clinch mit den Verantwortlichen. Ich war so dünnhäutig und sportlich war es wackelig. Wir spielten in Potsdam und ich bin kurz nach der Pause einfach gegangen«, blickt Kai Nielsen zurück. »Ich habe mich da so reingesteigert, hätte das anders lösen müssen. Heute würde mir das nicht mehr passieren.«

Es folgte ein Jahr HSG Hohn/Elsdorf (heute HSG Eider Harde). Dann ging es zur HSG Tarp-Wanderup, wo er Meister wurde aber nicht aufstieg. Unvergessen, wie Relegationsgegner SC DHfK Leipzig kurzfristig Weltmeister und Olympiasieger Joel Abati sowie Keeper Goran Stojanovic verpflichtete und Tarp in die Knie zwang. Nielsen wurde später entlassen, nachdem er kundtat, dass er zum Saisonende gehen will.

Rückschlag, Fußball und Lob

Erstmals keinen sportlichen Erfolg hatte er dann in seiner kurzen Zeit 2012 beim SG-Juniorteam. Gelernt hat er trotzdem, weil er ein Jahr lang beim damaligen SG-Cheftrainer Ljubomir Vranjes hospitieren durfte.

Seit 2008 trainierte Nielsen parallel schon Jugend-Fußballer beim MTV Meggerdorf, wo auch sein Sohn spielte. Das tat er auch noch, als er ab 2014 keine Handballmannschaft mehr coachte. »Mir fehlte der Handball nicht, die Pause tat gut«, sagt Nielsen, der erst im November 2019 beim DHK wieder auf die Trainerbank im Handball zurückkehrte. »Dieser soziale Kit, dieser Zusammenhalt haben mir schon gefehlt. Aber das hatte ich im Fußball ja auch. Das ist das Wichtigste: sich mit Freude begegnen, sich respektieren, mit dem Kollektiv im Mittelpunkt. Das ist bei uns beim DHK herausragend«, sagt Kai Nielsen.

Den DHK Flensborg hatte er früher als Gegner. »Ich fand es immer toll, was hier auf die Beine gestellt wird. Etwa mit der Pressekonferenz und auf Social Media.« Er lobt ausdrücklich die »liebevollen Akteure« Peter Stotz, Tobias Dahm und Tim Blohme sowie die »gute Seele« Paul Verboom. »Der DHK hat einen ganz hohen Stellenwert bei den Amateuren«, sagt Kai Nielsen. »Mir macht es riesen Spaß und Freude, hier Trainer zu sein. Mit Spielern wie Tjark und Ole. Mit dem Dänischen, denn wir sind eine dänische Mannschaft. Ich freue mich jetzt schon, was unser Kai Johannsen von Tokio berichten wird (Johannsen ist zugleich Betreuer der dänischen Handball-Männer, die bei Olympia gerade Silber holten, red.). Ein ganz toller Mensch«, sagt Kai Nielsen.


Kai Nielsen auf seiner Lieblingsbank in seinem Garten in Meggerdorf. - Foto: Kira Kutscher

Wissbegierig

Der DHK-Trainer ist wissbegierig und interessiert sich. Und er mischt sich ein. Etwa politisch. Kaum eine Sendung Markus Lanz, Anne Will oder Maybrit Illner ohne ihn am Bildschirm. 2019 war Kai Nielsen für kurze Zeit Kreisverbandsvorsitzender der Grünen. Themen wie Nachhaltigkeit, Tierschutz oder Ökologie interessieren ihn - ideologische Debatten dahingegen nicht.

Kai Nielsen, der seit einigen Jahren ein Psychologie-Fernstudium in Göttingen macht und sich gern weiterbildet, bringt sein Wissen im Training ein. So lässt er seine Spieler immer mal wieder mit geschlossenen Augen auf einem Bein stehen, um Knieverletzungen vorzubeugen. »Spieler mit leichten Blessuren nehme ich sofort raus - vor 15 Jahren hätte ich gesagt ‘versuche es’.« Seit dem Persönlichkeitstraining von Ex-Nationalspieler und Mentaltrainer Jörg Löhr hat Kai Nielsen auch erkannt: »Wenn du eine große Stärke hast, dann eher diese ausbauen und Schwächen ‘managen’. Ansonsten verschwendest du Ressourcen«.

Geprägt von Rickertsen

Und Nielsen profitiert noch heute von den Mitschriften nach den Trainingseinheiten unter Peter Rickertsen bei der HSG Tarp-Wanderup. »Er war der erste Trainer den ich erlebt habe, der der Mannschaft konkrete Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt hat. Ich war damals Anfang, Mitte 20 und habe mir das aufgeschrieben«, sagt Kai Nielsen und blättert in einem Ordner. »Intensive Einheit« steht dort auf einem Zettel vom 16. November 1999. Oder »Vor Hildesheim« datiert am 3. Februar 2000. »Der prägendste Trainer, den ich je hatte«, schwärmt Nielsen.

Mehr Geschichten zum und um den DHK Flensborg gibt nachzulesen in unserem Handballmagazin.