Trikottausch mit Hummels und: »Sorry BVB«

Holstein Kiel gegen Borussia Dortmund im DFB-Pokal. Diese Partie gab es schon einmal. Mittendrin vor neun Jahren: Christian Jürgensen, heute Geschäftsführer Sport beim SC Weiche Flensburg 08. Es war ein turbulentes Duell - auf und neben dem Platz.

Beim zwiwchenzeitlichen 3:0 von Lucas Barrios (Nr. 18) konnte auch Christian Jürgensen (Nr. 8) nicht mehr eingreifen. Das Pokalerlebnis gegen den BVB blieb für den damaligen Holstein-Kapitän in vielerlei Hinsicht unvergessen.
Beim zwiwchenzeitlichen 3:0 von Lucas Barrios (Nr. 18) konnte auch Christian Jürgensen (Nr. 8) nicht mehr eingreifen. Das Pokalerlebnis gegen den BVB blieb für den damaligen Holstein-Kapitän in vielerlei Hinsicht unvergessen. Foto: Archiv/Christian Charisius, dpa
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onsdag d. 28. april 2021 kl. 21.01

Flensburg. Am Sonnabend (20.30 Uhr/live ARD) tritt Holstein Kiel im DFB-Pokal-Halbfinale bei Borussia Dortmund an. Christian Jürgensen wird es sich wohl vorm Fernseher gemutlich machen. Und auch wenn er mit dem BVB »sympathisiert«, wird er seinem Ex-Klub aus der Landeshauptstadt die Daumen drücken. Der Geschäftsführer Sport des SC Weiche Flensburg 08 hat von 2006 bis 2013 das Trikot der Kieler »Störche« getragen und in der Zeit selber ein legendäres Pokal-Duell mit dem Revierclub erlebt. 

Es war am 7. Februar 2012, als Kiel im heimischen Holstein-Stadion, dem »Holler«, mit 0:4 gegen Dortmund, den späteren Pokalsieger unterlag. Zuvor hatten sich die Kieler, seinerzeit Regionalligist, mit Siegen gegen Energie Cottbus (2. Liga/3:0), MSV Duisburg (2. Liga/2:0) und den FSV Mainz 05 (Bundesliga/2:0) sensationell für das Viertelfinale qualifiziert - damals zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte (1941 stand Kiel einmal im Vorgängerwettbewerb im Halbfinale). Jürgensen war seinerzeit Kapitän und mit Ausnahme der Partie gegen Duisburg (zu der Zeit hatte er sich die Außenbänder gerissen) absolvierte er die anderen Pokalspiele als Innenverteidiger über die gesamten 90 Minuten.

“Wer weiß, wie das Spiel gelaufen wäre, wenn unser Stürmer Marc Heider, der früh die Führung auf dem Fuß hatte, das 1:0 erzielt hätte”, so Jürgensen, der sich mit den Teamkollegen hinterher schon über das Aus »ärgerte«, auch wenn es gegen Dortmund war. 

Jürgensen war damals dienstältester KSV-Spieler und konnte hinterher immerhin das Trikot mit Mats Hummels tauschen. Dieser spielte damals an der Seite von Neven Subotic in Dortmunds Defensive. Im Sturm des damals amtierenden Deutschen Meisters wirbelte ein gewisser Robert Lewandowski, ansonsten kickten auch Akteure wie Shinji Kagawa, Ilkay Gündogan oder Lucas Barrios mit. Bei Holstein standen mit Tim Wulff, Fiete Sykora und Kevin Schulz drei weitere Spieler im Team, die später genau wie Jürgensen den Weg zum SC Weiche Flensburg 08 fanden.


Christian Jürgensen tauschte damals das Trikot mit Mats Hummels. - Privatfoto

Für den BVB endete mit dem Sieg eine Kiel-Reise versöhnlich, die insgesamt viel Sprengstoff barg. Die Begegnung fand im tiefsten norddeutschen Winter statt. Im Holstein-Stadion gab es damals noch keine Rasenheizung, was BVB-Coach Jürgen Klopp nach der Partie auf den Plan rief. Er kritisierte sowohl den DFB als auch das Fernsehen dafür, dass die Partie unbedingt durchgezogen werden musste.

Der eigentliche Skandal hatte sich aber schon weit vor dem Anpfiff ereignet - im Live-Fernsehen. Bei der Auslosung zum Viertelfinale »sind mit einigen von uns die Pferde durchgegangen«, wie Jürgensen hinterher in einer offiziellen Entschuldigung an den BVB sagte. Nach dem Kiel-Triumph gegen Mainz wurde direkt das Viertelfinale ausgelost und die ARD schaltete erneut nach Kiel. Dort waren die Worte des damaligen KSV-Trainers Thorsten Gutzeit kaum zu verstehen. Im Hintergrund verunglimpften Holstein-Spieler und -Fans die Dortmunder mit Schmähgesängen. »Kloppo« und Co. nahmen die Entschuldigung aber an, ließen Kiel keine Chance und holten sich am Ende der Saison den Pokaltitel.

»Ich kann mich daran erinnern, dass Kevin Großkreutz besonders motiviert zu Werke ging«, so Jürgensen rückblickend. Ansonsten gab es keinerlei Reaktionen mehr des BVB auf den Vorfall. »Es war uns allen und mir damals schon sehr unangenehm und hätte natürlich nicht sein müssen. Heute können wir zum Glück darüber lachen, auch weil Dortmund am Ende gewonnen hat. Aber ich werde immer noch häufig darauf angesprochen«, so Jürgensen, der die Pokalspiele und vor allem das Match gegen die Borussia zu seinen Karriere-Höhepunkten zählt.

»Der Trubel drumherum, in den Medien, im Freundeskreis und der Familie, vor allem die Kartenanfragen waren damals enorm«, so der 36-Jährige. »In der Nacht, bevor die Tickets verkauft wurden, haben die Fans am Stadion übernachtet. Dort wurde gegrillt und gepokert. Ich bin noch mit einem Teamkollegen vorbeigegangen und wir haben eine Kiste Bier spendiert. In Verbindung mit dem Profifußball war das BVB-Duell wohl mein außergewöhnlichstes Erlebnis.«

Überhaupt mag Jürgensen, der damals mit Kiel erst Mainz um Coach Thomas Tuchel und später den BVB um Trainer Klopp gegenüberstand, den Pokalwettbewerb. Als Spieler von Weiche hatte er das große Glück, zwei weitere Pokalpartien erleben zu dürfen. Auch hier glückte dem Underdog zunächst die Überraschung mit einem 1:0-Sieg gegen den VfL Bochum (2. Liga). Später kam zwar das Aus gegen Bundesligist Werder Bremen (1:5/Saison 2018/19), aber insgesamt kann Jürgensen auf sechs tolle DFB-Pokal-Einsätze zurückblicken.

Entsprechend hofft er, dass sein SC in der aktuellen, was die Liga angeht bereits abgebrochenen Saison, noch eine sportliche Chance auf eine erneute Qualifikation bekommt. Der Landespokal in Schleswig-Holstein soll nach Möglichkeit im Mai zu Ende gespielt werden. Hier stehen die Flensburger im Viertelfinale und treffen auf Kilia Kiel.

Bis es soweit ist, kann Christian Jürgensen aber zunächst das Pokalspiel BVB gegen Holstein genießen. 

»Damals war der Unterschied größer. Als Zweitligist der u.a. Bayern München aus dem Pokal geworfen hat, ist Kiel dichter rangerückt. Und im Pokal kann alles passieren«, weiß kaum jemand besser als Jürgensen. Sollte Holstein tatsächlich der nächste Pokal-Coup gelingen, will er vielleicht eine kleine Siegeshymne auf seinem Sofa anstimmen. Aber diesmal ohne Häme und garantiert jugendfrei.